Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0499: Religionen mit Kick


Die Geschichte in der Bibel, die mich am meisten zweifeln lässt, ist das Buch Hiob. Es ist also an der Zeit, eine eigene Religion zu gründen. Aber heute muss man schon etwas bieten. Darum schauen wir uns heute die Konkurrenz an, vielleicht kann man ja was abkucken!

Download der Episode hier.
Musik: „Superstar Musik“ von Lokixximo (Bronx) / CC BY-SA 3.0

+Skript zur Sendung

Hallihallo und willkommen bei der göttlichen Sendung des Explikatorismus. Hier spricht eure Heiligkeit, der Explikator. Seid gesegnet, meine Schäfchen!

Mit den Religionen ist es ja schon so eine Sache. Man selber wächst im Dunst einer bestimmten Religion auf und findet deren Arbeitshypothesen irgendwann ganz normal. Ein Mann, der über Wasser geht, Dämonen in Schweine treibt und letztlich nach drei Tagen sein Grab verlässt, das ist ja irgendwie noch plausibel. Aber eine Gottheit mit blauer Haut, der in einer Nacht eine Million Frauen befriedigt oder ein Prophet, der in einer Kutsche in den Himmel reitet – pfft – das ist ja albern.

Obwohl es natürlich Hindus und Muslimen umgekehrt mit dem Christentum genauso gehen mag. So eine Religion ist wahrscheinlich irgendwie auch Gewöhnungssache. Bei den großen Religionen kommen aber schon seit geraumer Zeit keine neuen Ideen mehr dazu, muss man bemerken. Und da kann man auch schlecht ‘was klauen, denn das merkt dann ja jeder! Darum habe ich bei der Gründung meiner Religion im Netz nach Inspiration gesucht. Und gefunden.

Da wäre zum Beispiel die Kirche der Adonitologie. Da war einst dieser junge Mann aus Los Angeles, der einen Trip nach Thailand unternahm. In der Nacht zum 3. Januar 1996 bekam er überraschenden Besuch in seinem Hotelzimmer. Es war ein Engel mit Namen Elishamel. Jesus hatte er als Backup dabei. Und den Heiligen Geist auch. In Form einer Frau mit großem Hintern. Big Booty. Er solle, so der Engel, als Prophet Adonis hinausgehen und eine Kirche gründen, um Frauen mit großen Hintern spirituell zu befreien und zu führen. Denn diese würden Anfang des 21. Jahrhunderts die Welt führen.

Die Website ist leider offline, aber wir finden Spuren der Church of Adonitology in allen sozialen Medien, auf YouTube, Facebook und Vimeo. Eine ansehnliche Zahl an Frauen mit dicken Hintern folgte wohl dem Ruf des Propheten. Die Gottesdienste schienen hauptsächlich aus Twerking zu bestehen. Dem wilden Schütteln eben dieser überdurchschnittlich entwickelten Körperteile.

Doch natürlich findet sich auch ein maskulinerer Kult. In Montreal sitzt der Tempel des Priapos. Das ist in der griechischen Mythologie der Gott der Fruchtbarkeit. Der Sohn von Aphrodite und Dionysos. Bei den Eltern ist es kein Wunder, das sein Kult ein Kult ist um den Penis. In seiner erigierten Form natürlich. Auf der Website heißt der Text über dem Bild eines Penis: „There is no creation but that which is created by Phallus. On your knees and worship Cock.“

Das kann man sicher diskutieren. Die Mitgliedschaft ist in verschiedene Levels sortiert. Eine Penis-Hierarchie, wenn man so will. Ein einfaches Gemeindeglied – endlich macht dieser Ausdruck wirklich Sinn – muss schon vier Stunden in der Woche masturbieren, die Führungsebene widmet der Selbstbefriedigung schon 12 Stunden. Ziel ist es, sein Fortpflanzungsorgan aber an die Grenzen des physisch Machbaren zu rubbeln.

Übrigens werden Novizen nur nach eingehender Prüfung durch die Gemeinde aufgenommen. Der Initiationsakt ist natürlich: Onanie. Der Tempel ist dabei aber erstaunlich offen, auch Frauen ist die Mitgliedschaft erlaubt. Seltsamerweise aber ist noch nie eine Frau beigetreten…

Eine weitere schöne Idee für meine noch zu gründende Kirche könnte sich bei der Kirche des Kompimismus finden lassen. Immerhin eine in Schweden staatlich anerkannte Religion. Wenn man wissen will, was denn der Inhalt dieses Glaubenssystems ist, dann hilft es vielleicht ein Blick auf ihre heiligen Symbole zu werfen. Die da sind: „Strg+C“ und „Strg+V“. Die Religion des Copy und Paste. Des Kopieren und Einsetzens.

Ach, hätten das doch Karl-Theodor zu Guttenberg und Koch-Mehrin gewusst, bevor ihre Doktorarbeiten als kopiert und geklaut erkannt worden. Übrigens sind seitdem noch eine ganze Reihe an Politikern dazugekommen, aber das hat nicht mehr so einen Wirbel gemacht.

Für die Anhänger des Kompismismus ist aber das Kopieren ein sakraler Akt. Und die Anerkennung durch die schwedische Regierung stellt die frommen Gläubigen völlig frei von Urheberrechtsklagen. Schöne Sache, das. Vielleicht sollte ich umsiedeln nach Schweden, der Kirche beitreten, um dann im Explikator auch GEMA-Titel spielen zu können?

Übrigens haben die Plagiatsjäger längst schon die Doktorarbeit von Vladimir Putin als Plagiat entlarvt, sagt aber keiner so richtig laut. Weil der doch Judo kann, meine Vermutung.

Was uns nahtlos zum nächsten Kult bringt. Svetlana Fotinya war einst eine kleine russische Trickbetrügerin. Weswegen sie auch 1996 Lebenszeit hinter Gittern verbringen musste. Da passierte es: Gott persönlich erschien ihr und offenbarte ihr, dass Vladimir Putin die Wiedergeburt des Apostel Paulus ist. Und die des Großprinzen Vladimir, der einst die orthodoxe Kirche gründete.

Von dort wird er kommen und das Zarentum zu neuem Leben erwecken , gar selber Zar werden und Russland in ein neues goldenes Zeitalter führen. Amen.

Wenn nur die Russen endlich Svetlanas Kirche beitreten würden… Gehört eh’ nicht viel dazu. Eben nur Vladimir Putin anbeten, sich vegetarisch ernähren und jegliche moderne Medizin ablehnen. Aus dem Kreml gibt es leider zu dieser hochmodernen Kirche keinerlei Statement zu hören.

Vielleicht gibt es aber auch Inspiration zu finden beim Tempel des Wahren Inneren Lichts. Alan Birnbaum hat diese Kirche im Jahre 1980 gegründet. Gottesdienste bestehen hier im gepflegten Gebrauch von Di-Propyl-Tryptamin. Man sitzt auf Kissen, eintönige Musik läuft im Hintergrund und gemeinsam raucht die Gemeinde zum Beispiel Himbeerblätter, die mit LSD getränkt sind.

Denn LSD ist nicht der Weg zu Gott, nicht ein Türöffner ins Himmelreich, LSD ist die Manifestation Gottes auf Erden. Mr. Birnbaum und seine Gläubigen haben die Bibel gründlich studiert und erkannt, was diese ganzen Referenzen auf Öl und das Licht wirklich bedeuten.

Wirkliche Erlösung gibt es im Leben nur, wenn Du, mein Sohn, meine Tochter, anerkennst, dass es nur Jahwe, den Psychedeliker als waren Gott gibt. Und die Propheten von Jahwe Psychedeliker sind neben Jesus noch Moses, David, Elias, Vishnu, Buddha, Mohammed, Mani und Quetzacoatl.

Alles heilige Kiffer vor dem Herren, möchte man sagen. Und alles bereits Gemeindemitglieder. Posthum sozusagen. Denn das Reich Gottes steht nur dem offen, der zum Tempel des Wahren Inneren Lichts gehört UND LSD konsumiert. Eines von beiden reicht nicht, sorry.

Gut, soweit also ein Blick auf die Konkurrenz. Warum sollte aber der Explikatorismus funktionieren? Schließlich fehlt dem Propheten da irgendwie der Glanz. Ich meine, gegen Putin stinkt der Explikator doch ab, denn der kann ja Judo. Und auch LSD ist ein starker Konkurrent, da sind Gummibärchen irgendwie schwächer.

Auf der anderen Seite hat sogar Trixi eine Religion. Kennt ihr nicht, Trixi? Das ist die Handwerker- und Erfindermaus aus der Serie „Chip und Chap – Die Ritter des Rechts“. Ja, der Disney-Zeichentrickserie von 1990. Chip und Chap sind bei uns A-Hörnchen und B-Hörnchen. Trixi heißt dafür im Englischen Gadget Hackwrench. Eine Sekte in Russland hält sie für die perfekteste Schöpfung Gottes. Voller Liebe, Intelligenz und mit einem technischen Wissen ausgestattet, dass das Wissen jedes Menschen transzendental übersteigt. Sie beten Trixi an, haben ihr einen Schrein gebaut und schreiben ihr Lieder und Psalmen.

Allerdings: Wenn man sich die versammelte Gemeinde so anschaut, dann sind das auffallenderweise alles klassische Nerds. Ich glaube fast, die meinen das gar nicht ernst.

Aber, was soll’s: Ich ja schließlich auch nicht.

 


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 August 9, 2016  14m