Christine Linke hat nichts gegen Gewalt im Fernsehen – sie findet aber, dass die Art, wie Betroffene dargestellt werden, entsetzlich klischeehaft und einseitig ist. Das kann sie auch belegen, denn sie hat die Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen“ gemacht und dabei herausgefunden: Fast immer geht es ausgiebig um Täter – und selten um Betroffene. Die dürfen in der Regel nur als Opfer auftauchen. Die Studie belegt das mit klaren Zahlen: „Die Betroffenen von geschlechtsspezifischer Gewalt kommen nur in 8 % der Darstellungen ausführlich selbst zu Wort“.
Egal ob in Berichten oder Spielfilmen – nur selten gibt es die Sicht der Betroffenen auf das, was passiert ist. Und Möglichkeiten, wie Betroffene Hilfe bekommen können, werden so gut wie gar nicht vorgestellt, wenn es im Fernsehen gewalttätig wird.
Prof. Dr. Christine Linke hat auch herausgefunden: Im Fernsehen geht es sehr häufig um Gewalt in Ungleichheitsverhältnissen – wenn es also eine Machtdifferenz gibt, zum Beispiel in einer Beziehung. Häusliche Gewalt, auch sexuelle Gewalt, gehören dazu. Ebenso wie Gewalt gegen Kinder und Jugendliche oder auch Gewalthandlungen als Reaktion auf eine bestimmte sexuelle Orientierung. All das ist „geschlechtsspezifische Gewalt“. Und all das gibt es eben meistens aus der Täterperspektive.
Für die Studie haben Prof. Dr. Christine Linke und ihr Team – repräsentativ für das Fernsehjahr 2020 – rund 450 Stunden Material aus der Pre-Primetime und der Primetime von acht Hauptsendern des deutschen Fernsehens gesichtet (Das Erste, ZDF, RTL, RTL2, Vox, ProSieben, SAT1 und Kabel Eins). Insgesamt waren es 545 Sendungen, bei denen die drei Programmsparten Fiktion (35 %), Information (36 %) und Unterhaltung (29 %) zu einigermaßen gleichen Anteilen vertreten waren.
Herausgekommen ist: Darstellungen und Erzählungen teils expliziter und schwerer Gewalt gab es vor allem gegen Frauen und Kinder. Insgesamt waren es 290 unterschiedliche Gewalthandlungen, die 390 unterschiedliche Tatbestände umfassen, so die Studie.
Beauftragt wurde die Studie von der MaLisa-Stiftung, sie schreibt: „Wie Medien über Gewalt gegen Frauen berichten, in welchem Kontext sie sie darstellen, welche Vorstellungen und (Rollen-)Bilder sie dabei vermitteln, beeinflusst die gesellschaftliche Wahrnehmung von Gewalt gegen Frauen, ihren Folgen und den Möglichkeiten, ihr entgegenzutreten. Vor diesem Hintergrund kann die mediale Darstellung zur Prävention und Überwindung geschlechtsspezifischer Gewalt beitragen oder ihr im Weg stehen”.
Das Gesamtergebnis zeigt: Das deutsche Fernsehen hat Nachholbedarf, wenn es darum geht, auch die Sichtweise Betroffener deutlich zu machen. Immerhin: Christine Linke hat auch Beispiele im Fernsehen gefunden, bei denen die Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt gut gelingt.
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WEITERE INFOS + HILFEANGEBOTE:Hier gibt es eine Zusammenfassung der Ergebnisse aus der Studie: Studie „Geschlechtsspezifische Gewalt im deutschen Fernsehen“ (in Auftrag gegeben von der MaLisa-Stiftung)
DLf Nova hat über die Studie berichtet: Deutschlandfunknova – Gewalt im TV
Einen guten Überblick gibt es auch hier: Heise – Gewalt gegen Frauen und Mädchen: TV-Klischees und Wirklichkeit
Der Deutschlandfunk hat festgestellt, dass im deutschen Fernsehen Gewalt gegen Frauen noch immer oft klischeehaft und einseitig dargestellt wird: Deutschlandfunk – Darstellung von Gewalt gegen Frauen im TV
Die von Christine Linke angesprochene Istanbul-Konvention wird hier erklärt: UN WOMEN – Istanbul-Konvention
Wer Fragen zu sexueller Gewalt hat oder missbraucht wurde, findet beim Hilfetelefon sexuelle Gewalt Unterstützung und Beratung.
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HILFEANGEBOTE:Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch
0800 22 55 530 – anonym und kostenfrei
www.hilfe-portal-missbrauch.de/hilfe-telefon
Hilfe-Portal Sexueller Missbrauch
www.hilfe-portal-missbrauch.de
Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen
08000 116 016 – anonym und kostenfrei
www.hilfetelefon.de