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Überwachungsoffensive: Innenminister de Maizière fordert Vorratsdatenspeicherung für WhatsApp, Twitter & Co.


Innenminister de Maizière will Telemediendienste, die zur Kommunikation genutzt werden, auch von der Vorratsdatenspeicherung erfassen lassen. Dazu gehören neben Messengern wie WhatsApp auch Webseiten mit Kommentarfunktion. Foto: CC-BY 2.0 Sam Azgor

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat heute in einer 45-minütigen Pressekonferenz (Mitschnitt, MP3, 33 MB) „Geplante Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland“ vorgestellt. Diese umfassen neben Erhöhungen von Personal und Budget von Sicherheitsbehörden, der Verschärfung des Ausländer- und Aufenthaltsrechtes auch eine ganze Reihe von Maßnahmen mit Bezug zu Netzpolitik und Datenschutz.

Neben der schon angekündigten „Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“ (ZITiS) kündigte der Minister den Einsatz von verdeckten Cyber-Ermittlern im „Darknet“ an. Soweit so erwartbar.

Vorratsdatenspeicherung für nahezu alle elektronischen Kommunikationsdienste

Ein schwerwiegender Punkt in de Maizières Forderungskatalog ist aber die Aufhebung der Trennung von „Telekommunikationsdiensten“ und „Telemediendiensten“. Telekommunikationsdienste wie Telefon- oder Internetanschluss fallen unter das Telekommunikationsgesetz (TKG) und damit unter die Vorratsdatenspeicherung (VDS) und die Telekommunikationsüberwachungs-Verordnung (TKÜV).

Zu den Telemediendiensten hingegen gehören fast alle Angebote im Internet: Webshops, Messenger-Dienste, Suchmaschinen, Informationsdienste, Podcasts, Chatrooms, Dating-Communitys, Webportale, private Websites und Blogs. Sie alle fallen unter das Telemediengesetz (TMG).

In der Pressekonferenz sagte der Innenminister, dass beide Bereiche denselben Verpflichtungen unterliegen sollten, wenn sie denn zur Kommunikation genutzt würden. Im Kern geht es ihm darum, die Vorratsdatenspeicherung und die TKÜV auch auf Telemedien anzuwenden. Da fast alle Telemedien, von Onlinespiel bis zum Blog, auch zur Kommunikation genutzt werden können, würde dies die Ausweitung der VDS auf fast das gesamte Internet bedeuten. Eine ähnliche Forderung hatte es zuletzt im April diesen Jahres im Bundesrat gegeben. Die Repräsentanten der Bundesländer sprachen sich damals in einem Beschluss (PDF) für eine rechtliche Gleichstellung von Diensten beziehungsweise Kommunikationsformen aus, die sich funktionell gleichen.

Standortnachteil für deutsche Start-Ups

Beim für das Telemediengesetz zuständigen Justizministerium will man sich zu de Maizière Plänen nicht äußern. Der Justizminister ist im Urlaub und außerdem wolle man abwarten, was der Innenminister jetzt im Gespräch mit dem Ministerium vorbringe. Für das Telekommunikationsgesetz hingegen ist das Bundeswirtschaftsministerium zuständig. Der Innenminister muss also mit zwei SPD-Ministern verhandeln und das kurz vor Beginn des Bundestagswahlkampfes. Aus Sicht des Datenschutzes könnte hier zum Nachteil sein, dass Telekommunikationsunternehmen bei Wirtschaftsministerium schon länger lobbyieren, dass so genannte „Over-the-Top“-Dienste, gemeint ist etwa WhatsApp, gleichbehandelt werden.

Insgesamt könnte sich eine Vorratsdatenspeicherung von Telemediendiensten als Standortnachteil für deutsche Start-Ups und Internetunternehmen erweisen. Im Gegensatz zu ihrer internationalen Konkurrenz wären diese dann zu teuren Speichermaßnahmen verpflichtet. Ähnlich kritisiert dies auch der Branchenverband eco.

Wenn es nach dem Inneminister geht, soll die automatische Fahndung per Gesichtserkennung kommen. (Symbolbild) Foto: CC-BY 2.0 Southbank Centre London BMI will Videoüberwachung mit Gesichtserkennung und KfZ-Kennzeichenerfassung erlauben

Unter dem Schlagwort „intelligente Videotechnik“ will der Innenminister den Datenschutz beim Einsatz von Überwachungskameras schwächen. Auf Nachfrage sagte er in der Pressekonferenz, dass er die Verfahren mit ZITiS und dem Bundeskriminalamt erproben wolle und dann nutzen, um Fahndungen wirkungsvoller durchzuführen:

Natürlich kann ich mir vorstellen, dass wenn ein schwergesuchter Schwerverbrecher an den Bahnhof geht und die Kamera ihn erkennt, dass das für Sicherheitsbehörden nutzbar gemacht werden kann. [..] Das muss nicht nur durch Polizisten geschehen.

Das klingt schwer nach einem automatischen Abgleich der eingesetzten Videoüberwachungssysteme mit Fahndungsdatenbanken. Einen solchen Abgleich wünscht sich de Maizière auch in Sachen Kennzeichenlesesysteme. Hier fordert er, dass die Bundespolizei diese Systeme bei der Fahndung effektiver zum Abgleich des fließenden Verkehres nutzen dürfen solle. Das ist die Auto-Vorratsdatenspeicherung.

Geflüchtete sollen ihre Social Media Accounts vorzeigen

In einem Pilotverfahren will der Minister die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die aufgrund von so genanntem Resettlement oder humanitärer Aufnahme aufgenommen werden, verschärfen. Anlassbezogen sollen die öffentlich-zugänglichen Teile von Social-Media-Zugängen durchleuchtet werden. Auf Nachfrage sagt der Minister:

Wenn ihr nach Deutschland kommen wollt, dann müssen wir Eure Sicherheit überprüfen. Und wenn wir Eure Sicherheit überprüfen, dann bitten wir Euch Eure Facebook-Kontakte der letzten Monate und zu zeigen, die ja im Prinzip auch öffentlich sind. Das finde ich nicht zu viel verlangt. [..] Dass man ihren Namen verlangt und dann in öffentlichen Facebook-Chats guckt, ob es Probleme und Hinweise gibt. Da sehe ich so gut wie keine Grundrechtsrelevanz.

Auch wenn der Innenminister den gestern bekannt gewordenen Forderungen der Unions-Landesinnenminister wie Burka-Verbot oder Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft eine Absage erteilte: Nicht nur die netzpolitisch relevanten Pläne seines Ministeriums bleiben in großen Teilen schwere Grundrechtseingriffe und harte Gesetzesverschärfungen. Der Minister profitiert jetzt in der Diskussion um seine Pläne von der Tatsache, dass die durchgesickerten Scharfmacher-Vorschläge seiner Länderkollegen, die heute vorgestellten Pläne etwas moderater aussehen lassen.

Aus dem Handout des Innenministeriums:

Herausforderung Cyberraum: Das Internet darf kein Schutzraum für Kriminelle sein
  • Deswegen werden die technischen Fähigkeiten der Cyberaufklärung in einer „Zentralen Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich“, abgekürzt ZITiS, organisatorisch gebündelt. ZITiS wird die Sicherheitsbehörden als Forschungs- und Entwicklungsstelle unterstützen und Methoden, Produkte und Strategien zur Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus im Internet erarbeiten und bereitstellen. Die neue Stelle soll zu Beginn des kommenden Jahres eingerichtet werden und im Endausbau über 400 Stellen haben.
  • Auch operativ werden wir uns mit spezialisierten verdeckten Ermittlern („Cyber-Ermittler“) besser aufstellen, um im „darknet“ gezielt etwa illegalen Waffenhandel oder Kommunikation zwischen Terroristen aufzuklären.
  • Die rechtliche Trennung von „Telekommunikationsdiensten“ und „Telemediendiensten“, soweit diese zur Kommunikation genutzt werden, ist überholt. Die Unternehmen beider Bereiche müssen denselben Verpflichtungen unterliegen. Es darf bei Straftätern keinen Unterschied machen, ob sie telefonieren, die Sprachtelefonie-Funktion von Messenger-Diensten nutzen, Nachrichten schreiben oder über soziale Medien kommunizieren.
  • Auch jenseits des Cyberraums bleibt Technik ein wichtiger Punkt. Wir brauchen nicht nur mehr Personal, für effektive und effiziente Aufgabenwahrnehmung ist auch zeitgemäße Technik nötig. Dies gilt für den Einsatz intelligenter Videotechnik, die dazu beiträgt, Straftaten aufzuklären, potentielle Straftäter von Tathandlungen abzuhalten sowie das Sicherheitsgefühl der Reisenden zu erhöhen. Die Bundespolizei und die Deutsche Bahn AG nutzen gemeinsam die Videotechnik in einer Vielzahl von Bahnhöfen sowie in Zügen des öffentlichen Nahverkehrs. Eine Modernisierung und Ausweitung ist vereinbart. Bis 2019 werden rund 20 besonders bedeutsame Bahnhöfe mit modernster Videotechnik ausgestattet.
  • Öffentlich zugängliche Räume – zu denen etwa auch Einkaufszentren gehören – sind auch „weiche Angriffsziele“ für Täter, die auf Öffentlichkeit zielen. München hat dies mit einem Amokhintergrund gezeigt – Terroristen haben solche Ziele auch schon ausgewählt. Die Sicherung dieser Räume durch Videoüberwachung liegt bei den Betreibern solcher Zentren, die durch die Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder überprüft werden. Bei solchen Überprüfungsentscheidungen der Datenschützer müssen aus meiner Sicht Sicherheitsbelange stärker aufgenommen und gewichtiger in die durchzuführende Abwägungsentscheidung eingehen. Bei einer kürzlich erfolgte Bombendrohung in einem Einkaufzentrum in Dortmund hätten dann auch Videoaufzeichnungen zur Aufklärung der Sachlage beitragen können, wenn diese von den Datenschützern nicht untersagt worden wären.
  • Die Bundespolizei benötigt die Befugnis, durch Kennzeichenlesesysteme Fahndungsausschreibungen im fließenden Verkehr effektiv abgleichen und damit Gefahren durch grenzüberschreitende Kriminalität und Terrorismus bei der Grenzfahndung noch gezielter erkennen und abwehren zu können.
  • Wir müssen uns auch technologisch weiter entwickeln, beispielsweise beim Einsatz von Biometrie. Das BKA wird hier organisatorisch und technisch seine Kompetenz weiter stärken. Das Lichtbild und Gesichtserkennungssysteme sollen perspektivisch mit einer vergleichbaren Zuverlässigkeit wie der Fingerabdruck zur Identifizierung einer Person beitragen. Derzeit erforscht das BKA hierzu neue technologische Ansätze für die künftige Arbeit der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder.
  • Schließlich müssen wir unseren allgemeinen IT-Einsatz ausbauen und optimieren. Dies beginnt bereits bei der Nutzung von automatisierten Abrufverfahren anstelle ressourcen- und zeitaufwändiger manueller Bearbeitung und Übermittlung. Wichtig ist speziell auch die Vereinheitlichung und Harmonisierung im polizeilichen Informationswesen durch flächendeckend gleiche Standards, damit Daten übergreifend analysiert und ausgewertet werden können. Zugleich vermeiden wir den Aufwand, die Daten mehrfach in unterschiedliche Systeme redundant eingeben zu müssen.
  • Ressourcen behördenübergreifend nutzen für mehr Sicherheit in Deutschland: Seit mehr als zehn Jahren gibt es auf der Bund-Länder-Ebene regelmäßige Übungen im Bereich des strategischen Krisenmanagements (LÜKEX – Länder Übergreifende Krisenmanagement-Übung/Exercise), auch unter Beteiligung der Bundeswehr. Im Rahmen einer verantwortungsvollen Sicherheitsvorsorge in unserem Land muss die Zusammenarbeit in terroristischen Großlagen reibungslos funktionieren, und deswegen stimmen wir gegenwärtig die Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Übung auch mit der Bundeswehr unter Leitung der Polizei und im Rahmen des geltenden Verfassungsrechts ab.
  • In der Bundespolizei werden wir die Spezialkräfte (z.B. die GSG 9) in einer eigenständigen Direktion zusammenfassen. Damit stellen wir sicher, dass bei entsprechenden Lagen alle erforderlichen Fähigkeiten aus einer Hand für Bund und Länder zur Verfügung gestellt werden können.
Europäische Maßnahmen
  • Wir haben in Europa die Richtlinie über die Verwendung von Fluggastdaten (PNR) verabschiedet. Danach müssen die Fluggesellschaften bestimmte Passagierdaten einer polizeilichen Stelle in dem EU-Mitgliedstaat, in dem der jeweilige Flug startet oder ankommt, übermitteln, damit die Sicherheitsbehörden frühzeitig Maßnahmen in die Wege leiten können (z.B. Festnahme, gezielte Kontrolle), aber auch rückwirkend, etwa nach Anschlägen Reisebewegungen der Täter und damit auch Netzwerke aufklären. Diesen Mehrwert für alle Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern wollen wir bei dem nun anstehenden nationalen Umsetzungsgesetz mit der Einrichtung einer gemeinsamen Kooperations- und Kommunikationsplattform erreichen.
  • Es gibt eine grundsätzliche Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten zur Einrichtung eines Europäischen Ein-und Ausreiseregisters. Ich möchte, dass im Rahmen seiner Einführung alle deutschen Sicherheitsbehörden Zugriff auf dieses Register erhalten, denn wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass diese Stellen genau wissen müssen, wer nach Europa kommt und wer Europa verlässt. Das dazu laufende europäische Rechtsetzungsverfahren soll bereits Ende 2016 abgeschlossen sein. Wir werden uns für eine zügige Umsetzung dieses organisatorisch und technisch komplexen Vorhabens einsetzen.
  • Wir gehen das Problem der technischen Insellösungen in Europa an (Stichwort „Interoperabilität“). Sicherheitsrelevante Informationen sind in der EU in zu viele verschiedene Datensysteme zersplittert. Schon jetzt gibt es im Bereich Reise, Migration und Sicherheit Datenbanken (SIS, VIS, Eurodac, sowie demnächst PNR und das Ein- und Ausreiseregister), die miteinander nicht vernetzte Einzelinformationen enthalten. Das müssen wir ändern, und dazu hat sich die EU auch bereits bekannt.
  • Aufgaben bündeln und koordinieren: Für die polizeilichen Aufgaben haben wir dies bei Europol mit dem Europäischen Zentrum zur Terrorismusbekämpfung (ECTC) bereits getan. Ebenso haben wir für die nachrichtendienstlichen Aufgaben – die außerhalb der EUKompetenz liegen – in der europäischen Counter Terrorism Group eine solche operative Plattform geschaffen und mit einer gemeinsamen Datenbank für terroristische Gefährder ausgestattet. Darüber hinaus wäre der Bündelungsansatz auch im Bereich von Prävention und Deradikalisierung sachgerecht. Aufbauend auf dem Radicalization Awareness Network sollten Erfahrungsaustausch und Koordination in Europa in einem eigenen Zentrum gestärkt werden.

[..]


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 August 11, 2016  41m