Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0575: Das Ozonloch


Das Schönste an allen Weltuntergangs-Szenarien bisher ist ja das Folgende: 100% waren falsch. Bisher. So eben auch das Ozonloch. Was war das noch einmal? Und was ist damit passiert?

Download der Episode hier.
Opener: „Ozone Song (What is the ozone layer?)“ von Philippine Ozone Desk
Closer: Knut TV – Folge 36 – “Das Ozonloch” von Benjamin Tomkins
Musik: „Ozone Song“ von UN Environment

Atommüll, Klimaerwärmung, Donald Trump oder ungesättigte Fettsäuren – wovor wir in unserer brave new world Angst haben, dass hat die Menschen im Mittelalter komplett kalt gelassen.

Doch natürlich waren die auch nicht gelassen und erleuchtet, sondern vielmehr meistens damit beschäftigt, nicht zu verhungern, nicht an Epidemien zu sterben oder nicht mit dem bösen Blich verflucht zu werden.

Jede Zeit hat also ihre Ängste und ihre Untergangsszenarien. Ich habe schon einige mitgemacht und dabei ein bisschen den Respekt vor den Medien verloren. Da gab es den legendären Spiegelartikel über AIDS, der diese Immunkrankheit mit der Pest und der Cholera gleichsetzte und verkündete, dass sich die Weltbevölkerung bis ins 21. Jahrhundert halbieren wird.

Dann gab es den sauren Regen. Das Waldsterben. Das besonders in Deutschland für eine regelrechte Hysterie gesorgt hat. „Der Schwarzwald stirbt“ – um wieder den Spiegel zu zitieren.

Wir in Bayern haben als Freistaat ja eine eigene Verfassung. Und in der ist es den Bäumen in unseren schönen bayerischen Wäldern verboten, einfach zu sterben.

Also hat auch der saure Regen – dank der CSU – nicht dafür gesorgt, dass das pflanzliche Leben auf dem Planeten erlischt, wie es in einigen Artikeln vorhergesagt wurde.

Aber der saure Regen war – nach der Erkenntnis, dass Luftverschmutzung allgemein keine gesundheitsfördernde Maßnahme ist – die erste dieser Angstwellen, die die Atmosphäre zum Thema hatte.

Irgendetwas hatten wir verändert, was den Regen veränderte, was die Bäume veränderte. Natur war also durch uns kleine Menschen veränderbar. Und zwar nachhaltig veränderbar. Wir können ein großes, komplexes System wie die Atmosphäre so richtig kaputt machen.

Und dann kam eben das Ozonloch. Da war der Ausblick dann noch einmal einen Tacken schlimmer. Die Sonne würde unsere schöne blaue Kugel sterilisieren! Wir würden alle erblinden! Das Haus nur noch in Raumanzügen verlassen können! Und am Ende jämmerlich ersticken. Alle diese Behauptungen sind nicht von mir erfunden, sondern hier nur gesammelt.

Aber schnell ein kleiner Rückblick. Denn eigentlich wissen wir wissenschaftlich noch nicht sooo lange, dass da in der Luft überhaupt etwas ist. Dass wir uns nicht im Nichts bewegen. Das hatten wir zwar in der Antike schon einmal gewusst, aber in Europa haben wir dann noch einmal bis zur Renaissance gebraucht, um uns daran zu erinnern, dass Luft eben auch ‘was ist.

Antoine Lavoisier verschaffte 1776 dem Sauerstoff seinen achten Platz im Periodensystem. Man entdeckte schnell, dass dieser Sauerstoff stinkt, wenn man elektrische Spannung anlegt. Denn dabei entsteht Ozon, frei nach dem griechischen verb ozein, dass da einfach „riechen“ bedeutet.

Ozon ist ein Molekül, dass aus drei Sauerstoffatomen besteht. Eine wackelige Sache, diese Verbindung und alles andere als stabil. Im Jahre 1913 schon wiesen französische Wissenschaftler mit Namen Charles Fabry und Henri Buisson mit einem Interferometer schon faszinnierend exakt nach, dass da in ungefähr 20 km Höhe eine ganze Lage von Ozon hin- und herwabert und bestimmte Wellenlängen des Sonnenlichts herausfiltert.

Eine prima Sache, denn andere Planeten – ohne Atmosphäre, ohne Ozon – könnte man… durchsterilisiert nennen. Das ist zwar recht hygienisch – kein AIDS, aber auch irgendwie sehr langweilig auf Dauer.

Unser Verständnis von Mutter Erde oder Vater Natur oder einfach vom Biosystem hier in unserem Sonnensystem war damals, 1913, noch ein endloses. Ein unvernichtbares. Wir sind doch nur so kleine unbedeutende Menschlein, wie könnten wir so etwas wie die Atmosphäre beeinflussen? Nein, das ist typisch menschliche Hybris! Die Ressourcen der Erde sind unendlich, das System viel zu groß, Gott ist gütig und allmächtig.

Es sollte wirklich bis in die Siebziger dauern, bis solche Dinge wie Umweltschutz oder eben Luftverschmutzung im Westen zu Allgemeingut wurden. Und weil man da ja bereits mit Flugzeugen – damals sogar noch mit Überschallgeschwindigkeit – Menschen durch die Welt flog, gab es da gewisse Fragen.

Hinterlassen doch diese Flugzeuge in der Stratosphäre ihre Abgase. Und von den Abgasen in unseren Städten hatten wir ja gerade eben gelernt, dass sie so richtig ungesund und schädlich waren. Was würden die Abgase wohl mit so etwas Filigranem wie unserer manchmal hauchdünnen Ozonschicht machen?

Es war bereits im Jahr 1974, dass Paul Crutzen, Mario Molina und F. Sherwood Rowland nachgewiesen hatten, dass Fluorkohlenwasserstoffe sehr langsam in die Stratosphäre diffundierten und dabei einen Prozess anregten, der die Ozon-Moleküle in der sogenannten Ozonschicht kaputtschiesst.

Ein nicht ganz einfacher Vorgang, den die Sonne da so hauptsächlich über dem Südpol Jahr für Jahr in Gang setzt, aber kurz gesagt: Frei marodierende Chlor-Atome fliegen da – immer noch – zerstörungswütig durch die Gegen. Ein einziges konnte dabei an die 100.000 Ozon-Moleküle zerschießen.

Weil das nicht einfach zu verstehen war, bekamen die drei Forscher auch glatt einen Nobelpreis dafür.

Es wurde also höchste Eisenbahn, mal genauer nachzuschauen, wie es um die Ozonschicht denn so bestellt war. Richard Farman nahm in den Siebzigern regelmäßig Messungen vor und stand eines Tages vor dem Problem, dass seine Instrumente plötzlich kaputt waren. Sie zeigten plötzlich überhaupt kein Ozon mehr über ihm an.

Doch die Instrumente waren nicht das Problem. Sondern die Tatsache, dass da einfach kein Ozon mehr war. Die Schützhülle hatte ein Loch. Das war natürlich alles andere als eine gute Nachricht.

Aus irgendeinem Grunde blieb diese Eilmeldung erst einmal jahrelang verborgen. Ich konnte beim besten Willen nicht herausfinden, wer dann in den Achtzigern in den Mainstream-Medien als erster begann, über diese Erkenntnisse zu berichten, aber Mitte der Achtziger war die Panik voll im Gange.

Es ist seit dieser Hysteriewelle, dass kleine Kinder mit Sonnenschutzfaktoren im Hunderterbereich eingeschmiert werden, sobald die Sonne im Frühjahr ein bisserl wärmt. Dass alle Kinder Hüte tragen müssen. In meiner Kindheit war es völlig normal, dass wir Kinder ein paar Mal im Sommer einen Sonnenbrand hatten, bei dem sich die Haut schälte. Machte sich keiner einen Kopf drüber. Und hat’s geschadet? (irres Kichern)

Die Sonne wird uns grillen, verbrennen, mit Tumoren übersehen und uns und allen Tieren das Augenlicht rauben! Nichts wird mehr wachsen können, Ernten zunehmend ausbleiben und nur die Superreichen in autarken Bunkerstädten werden die Ozon-okalypse überleben. AIDS aus den Wolken, dichtete blumig die Newsweek.

Wir hatten also eine hoch besorgte Bevölkerung und ein Problem in unserer Stratosphäre. Wir wussten sogar schon, wer der Übeltäter war. Fluorkohlenwasserstoffe. Die wurden überall verwendet, wo etwas gekühlt werden musste. Und in praktisch jeder Spraydose, egal ob Farbe, Rasierschaum oder Drei-Wetter-Taft.

Aber es gab auch Alternativen. Und so wurde bereits 1987 ein Abkommen ratifiziert, dass zwar nur 24 Nationen unterzeichneten, aber das waren eben die Kühlschrank- und Spraydosen-Nationen. Und die einigten sich darauf, schon ab 1989 die Herstellung von Fluorkohlenwasserstoffen massiv einzuschränken.

Mittlerweile schläft keiner mehr unruhig wegen des Ozonlochs. Das ist eine vergessene Umweltgefahr. So wie wir vergessen haben, dass es noch in den Siebzigern unmöglich war, in unseren großen Flüssen zu baden. Sowohl der Rhein als auch die Donau waren lebensfeindliche Gewässer, Fische gab es darin praktisch nicht.

Und es ist auch beim Ozonloch zu vermelden, dass die Anstrengungen dazu geführt haben, dass die Gefahr momentan gebannt scheint. Es gibt durchaus gute Indizien dafür, dass es sich deutlich erholt. Auch, wenn es jedes Jahr immer wieder neu irgendwo gehyped wird.

Irgendwann zwischen 2050 und 2080, je nach Studie, wird es das erste Jahr geben, wo wahrscheinlich zum ersten Mal wieder im Sommer über der Antarktis gar kein Loch mehr entsteht.

Ob allerdings die Erfolgsgeschichte „Ozonloch“ jetzt dazu führt, dass die Menschen mehr sensibilisiert sind für das gegenwärtige Problem CO2?

Oder ob sie mittlerweile schon abgestumpft sind und den Medien Horrorszenarien generell nicht mehr abnehmen? Wird schon alles nicht so schlimm?

Bleibt abzuwarten. Aber das Ozonloch ist ein großer Erfolg für den Umweltschutz und für uns als Menschen. Ein sicheres Indiz, dass wir unseren Verstand gebrauchen könnten, wenn wir wollten.
Und dass wir etwas bewegen können.
Wenn es uns halt nicht zu teuer zu stehen kommt…


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 December 5, 2016  15m
 
 
curated by Eric in Podcasttagebuch 2017 | December 13, 2016