Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0615: Destino


Ich habe ja meine Schwierigkeiten mit Salvador Dali. Die Serigraphien, die mein Vater gekauft hat, entpuppten sich nach Dalis Tod alle als Fälschungen. Und Surrealismus, na ja. Bis ich auf „Destino“ gestoßen bin, ein Werk von Dali und Walt Disney. Das muss ich euch erzählen!

Download der Episode hier.
„Destino“ ein Kurzfilm von Walt Disney und Salvador Dali
Opener: „Salvador Dali on “What’s My Line?” von Kembrew McLeod
Closer: „Walt Disney – What’s My Line? von GoRetroTV

Jetzt gleich fahre ich noch einmal nach München, der Entrümpler kommt und wirft dann alle meine Sachen weg. Oder nur jene, die ich nicht mehr brauche. Ich dachte, das würde mir rein gaar nichts ausmachen. Sind ja nur Dinge. Aber irgendwie hat mir mein eigenhändig zurechtgesägtes, altes Ikea-Bett wohl doch etwas bedeutet.

O.k., nicht sentimental werden. Ich erzähle das ja auch nur, weil ich zur Zeit eher Kurzfilme kucke. Den dritten Jaques Tati, siehe letzte Woche, z.B. den kucke ich in Scheiben, obwohl ich ihn auch sehr mag. Wurst. Auf jeden Fall bin ich auf einen Kurzfilm gestoßen, von dem ich euch erzählen muss! Und die Handlung zu erzählen ist in diesem Fall auch kein Spoiler, versprochen!

Also, da ist so’ne Frau, die einsam durch die Wüste geht, gell? Und die kommt an so ein komisches Denkmal, wo ein Mann mit ‘nem Kopf wie ein Ei gefesselt ist. Das ist aber auch gleichzeitig eine Uhr. Und dann wird die Frau riesengroß und die Uhr ganz klein und die verschwindet dann und die sind dann in einer anderen Welt.

Jetzt ist der Mann von der Uhr lebendig, hat aber Angst vor der Frau. Deshalb rennt die dann den Turm von Babel hoch. Aber ein fieser Haufen von Augen mit Helmen klaut ihr Kleid und sie flieht nackt in eine Muschel. Doch die fällt zu Boden und die Frau flieht weiter, dieses Mal auf großen Telefonhörern.

Sie sieht dann den Schatten einer Glocke auf dem Boden und taucht in diesen ein, wird eins mit dem Schatten. Sie beginnt zu tanzen und ihr Kopf wird zu Löwenzahn. Ein Pusteblumenschirmchen erweckt den Mann von vorhin zum Leben. Obwohl die Uhr ihn nicht loslassen will, kann er sich aber befreien. Aus seiner Hand krabbeln dann Ameisen ‘raus, die sich in Fahrradfahrer verwandeln, die auf seiner Hand rumradeln. Ach ja, und die haben statt Hüten Brote auf dem Kopf.

Und dann wird es noch spannender, doch es kommt zum Happy End. Oder auch nicht, habe ich nicht genau kapiert. Die beiden Macher des Films haben auch noch einen kleinen Cameo-Auftritt. Mehr verrate ich jetzt aber nicht mehr, Link auf Explikator.de

Wenn ihr jetzt denkt: „So ein surrealistischer Kiffer-Quatsch!“, dann ist das genau das, was ich auch dachte, als ich den Film zuerst sah. Und wir haben irgendwie auch beide recht. Ich hatte mich durch Kurzfilme geklickt, die für den Oscar vorgeschlagen waren und war auf „Destino“ gestossen.

Aber überraschenderweise habe ich in der folgenden Nacht von dieser bizarren Welt geträumt. Die Bildsprache hatte etwas in mir berührt. Und das ist die eigentliche Absicht surrealistischer Kunst. Unseren Träumen, unserem Unbewussten einen Ausdruck geben.

Wahrscheinlich war dieser Salvador Dali doch kein Spinner. Den von diesem Künstler stammt „Destino“. Und… von Walt Disney! Es gibt tatsächlich auf dieser Welt einen ca. fünf-minütigen Kurzfilm von Walt Disney und Salvador Dali.

Die waren befreundet, es gab da wohl eine gewisse Chemie. Wahrscheinlich weil sie beide große Spielkinder geblieben sind. Es wird berichtet, dass Dali besonders auf die große Spielzeugeisenbahn neidisch war, die im Garten der Disneys auf- und abfuhr.

Während des Kriegs sanierte sich der Disney-Konzern gerade wieder von seinen Spielfilmen, die wir jetzt für Klassiker halten, die aber nicht gerade viel Geld verdient hatten. Mit Propagandafilmchen verdiente man jetzt aber gute Kohle, von Donald Ducks Abenteuern in Nazi-Deutschland habe ich ja schon einmal berichtet. „Der Führer’s Face“ kam auch gleich mit einem Schunkel-Schlager, der alleine für sich ein Riesenerfolg war.

Während also der Krieg in seinen letzten, blutigsten Zügen liegt, sitzen die beiden Schnurrbartträger in Walt Disneys Garten, rauchen Zigarillos und spinnen gemeinsame Pläne. „Was könnte man gemeinsam machen?“ Bald ist ein Entschluss gefasst und die Disney Corporation, heute das größte Medienunternehmen der Welt, nimmt den berühmtesten Surrealisten selbiger Welt unter Vertrag.

Acht Monate lang kommt Salvador Dali morgens um 9:00 Uhr ins Studio, stempelt seine Karte, ist dann acht Stunden genial und stempelt um fünf Uhr wieder aus. Zusammen mit seinem Team entsteht ein umfangreiches und verwirrendes Storyboard… Nein ein Dutzend Storyboards, nein, sogar Hunderte von Storyboards. Was gleichzeitig auch das Problem gewesen sein dürfte…

Nach dieser langen Zeit sind genau fünf Hintergründe fertig und nur knapp über 400 Einzelbilder. Klingt besser, als es ist, denn das Material reicht damit für 18 Sekunden Film. Beiden Maestros wird klar, dass das Ding sooo erst im Jahre 2140 fertig wird.

Und so wir Dali wieder entlassen, das Arbeitsverhältnis läuft in beiderseitigem Einverständnis friedlich aus. Beide Familien bleiben sich noch freundschaftlich zugetan. Disney wir nie wieder mit namhaften Künstlern zusammen arbeiten. Doch privat werden die Disneys die Dalis 1957 in Spanien besuchen und dort eine sonnige Ferienwoche verbringen. Und auf das Türmchen kucken, in der die Glocke hängt, die Dali nach seinen Entwürfen für „Destino“ hat gießen lassen.

In dieser Woche steckten die beiden Künstler angeblich wieder ihre Schnurrbärte zusammen und feilten an einer gemeinsamen Umsetzung von Don Quichote. Heißt es. Aber Walt Disney hatte zu diesem Zeitpunkt eigentlich das Interesse am Filmemachen verloren und widmete sich lieber seinen Freizeitparks – da war das Geld leichter zu verdienen.

Auch Dali war längst in der Welt des Kommerz angekommen und baute eine Werkstatt auf, die in großem Tempo Dali-Serigraphien fälschte und auf den Markt der Möchtegern-Kunstsammler spülte.

Und so blieb „Destino“ in den Regalen des Studios liegen. (Ich stelle mir das genau vor wie in der Schluss-Sequenz von „Jäger des verlorenen Schatzes“. Alles wird in eine Kiste gepackt und in einer riesigen Lagerhalle in irgendeine Ecke zum Verstauben gefahren.)

1966 stirbt Walt Disney und 1989 Salvador Dali. Die Holzkiste fängt noch weiter Staub, obwohl sich bereits das Symbol einer schmelzenden Uhr in das Holz gebrannt hat…

Im Jahre 2000 stolpert dann Roy Disney, der Sohn von Walt, über genau diese Kiste. Was er eigentlich in der Lagerhalle gesucht hat, wissen wir nicht. Aber er nimmt ein Brecheisen und öffnet die Kiste und findet „Destino“! Einen Schatz! Den seltsamsten, bizarrsten Schatz, den die riesige Lagerhalle wahrscheinlich zu bieten hat. As far as we know…

Und so bleibt uns von dieser einmaligen Zusammenarbeit dieser kleine Kurzfilm. In HD für jeden auf YouTube verfügbar. Macht nichts, dass er 2004 nicht den Oscar gewonnen hat. Macht gar nichts…

Erst mit modernen Technologien konnte das Storyboard von Dali endlich umgesetzt werden. Leider sieht man dem Film diesen Bruch zwischen klassischer Animation und früher Computeranimation auch ein bisschen an. Aber der Film ist ja sowieso auf vielen Ebenen eine Chimäre, da stört das auch nicht mehr.

Und immerhin ist der Soundtrack noch der von 1945. Als Disney in Europa nichts verkaufen konnte, versuchte es den südamerikanischen Markt zu erobern. Die „Drei Caballeros“ sind aus dieser Zeit am bekanntesten.

Dort verliebte sich Walt Disney in Dora Luz und dabei vor allem in ihren Song „Destino“. Der hat auch etwas Magisches, ich habe den jetzt oft im Kopf. Auch wenn ich auf die kitschigen Chöre im zweiten Teil verzichten könnte. Darum habe ich die für euch rausgeschnitten. „Destino“ ist der Musiktitel von heute.

So. Ich werde jetzt ‘mal losfahren. Als Anregung bleibt mir nach meinen persönlichen „Destino“-Träumen immerhin, dass mit den Hüten noch einmal zu versuchen. Hüte stehen mit ja überhaupt nicht. Warum also nicht einmal stattdessen Weißbrot versuchen?


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 March 16, 2017  13m
 
 
curated by Eric in Podcasttagebuch 2017 | March 17, 2017