55:02 Ja, es ist beides nicht schlecht. Man kann schon sagen, es ist besser, wenn man zuerst infiziert war und dann drüber impft. Aber das wollen wir jetzt epidemiologisch gar nicht haben, weil das setzt ja die Leute ins Risiko. Wir müssen einfach unsere Strategie darauf aufbauen, die Leute sollen zuerst geimpft sein, damit geschützt sein gegen schweren Verlauf und dann erst Kontakt mit dem Virus bekommen. Und da muss man auch sagen, die Unterschiede sind nicht sehr groß. Also auch der Viruskontakt nach Impfung ist sehr gut. Zu diesen ganzen Regularien, ehrlich gesagt, ich kann da gar nicht viel zu sagen, weil mir die gar nicht geläufig sind im Einzelnen. Ich muss auch in Alltagssituationen immer wieder überlegen, was muss man jetzt eigentlich machen und was gilt eigentlich jetzt hier bei uns in diesem Bundesland? Und was passiert eigentlich, wenn ich anderswo hinfahre? Also, das will ich jetzt gar nicht weiter kommentieren. Das ist tatsächlich eine Angelegenheit der Politik und der Regulation und der Ausführungsebene. Aber wo Sie nach der wissenschaftlichen Grundlage fragen, ja, da ist das RKI ja jetzt auch letzte Woche wieder mal in den Medien angeschossen worden. Ich finde, es gibt da ja relativ einfache Erklärungen, die das RKI ja auch geliefert hat. Also statt auf das RKI zu schießen, hätte man einfach mal auf die RKI-Homepage gehen können. Da findet man das ja begründet und dokumentiert. Das RKI nennt gleich mehrere Referenzen dazu. Die kommen fast alle aus England. Und die wichtigste ist sicherlich das „Technical Briefing 34“ über die Varianten. Darin gibt es mehrere Begründungen und eine ganz wichtige Begründung ist die Auswertung der SIRENStudie. Das ist ja diese große Studie in England, wo geschaut wird, was eigentlich diejenigen, die infiziert waren, für einen Schutz im Moment haben. Dieser Schutz wird also praktisch so ausgedrückt wie eine Vakzine-Effektivität. Und da ist es nun mal so, schon nach 90 Tagen nach einer Vorinfektion liegt bei Omikron diese Effektivität der Vorinfektion, also das Pendant einer Vakzine-Effektivität, dann schon nur noch bei 44 Prozent. Und damit würde einfach jeder Impfstoff durch die Zulassung fallen. Punkt. Ganz einfach. Also das reicht einfach nicht und das ist glasklar. Und darum ist es auch glasklar, dass das RKI jetzt für Omikron das Ganze auf 90 Tage verkürzt hat.
1:16:57 Na ja, auch da: Es gibt in diesem Bereich viel politisch-mediale Empörung. Das beginnt mit zugespitzten, verkürzten, kontrastierenden Darstellungen in Sekundärberichterstattung über Interviews. Das geht aber auch bis in die Parteipolitik hinein. Und es ist einfach durchgehend unfair. Die Labore haben natürlich eine Kapazität, die linear zu steigern ist. Es ist ein Riesenkraftakt, 50 Prozent auf die Testkapazität draufzusetzen. Und die Labore können das nicht ohne Weiteres machen, weil sie natürlich danach dann ihre Investitionen vielleicht gar nicht amortisieren können. Die müssen dafür ja neue Maschinen kaufen und Personal einstellen. Aber wir haben ja hier nur einen kurzen Inzidenz-Peak, der vielleicht zwei Monate breit ist und in die Höhe schießt. Dann ist das ganze Spiel wieder vorbei. Und der geht exponentiell, da können Sie nicht linear die Kapazität dagegen ansteigern. Das ist einfach nicht real. Es ist unvernünftig. Deswegen muss man dann andere Umgangsweisen finden. Und die gibt es ja seit langer Zeit. Also bei Influenza hat dieses Problem ja immer genauso bestanden, dass man gar nicht jede Erkrankung testen will und muss. Und dann benutzt man eben Surrogat-Systeme. In Deutschland gibt es da GrippeWeb oder AG-Influenza oder dann für die schweren Krankheitsfälle die ICOSARI-Daten, die das RKI zusammenfasst. Und daraus kann man natürlich auch schätzen, wie viel Krankheitslast in welchen Altersgruppen in der Bevölkerung ist, auch in welchen Schweregraden. Also Community, Arztpraxen und dann letztendlich die schweren Krankenhausverläufe. Das macht das RKI auch. Und in anderen Ländern gibt es natürlich dann noch mal bessere Datenkonstrukte. Zum Beispiel das Office for National Statistics in England hält das ja immer nach, ohne jede Beeinflussung. Man sieht dort sehr schön, dass sich diese Erkrankung so verteilt, wie man das jetzt erwartet, wie ich das vorhin auch beschrieben habe. Darauf basieren auch meine Informationen. Ich denke mir das ja nicht aus. Es ist jetzt eben dazu gekommen, zu dieser Umverteilung und wir haben jetzt alleine in den Kinderaltersgruppen noch ein Ansteigen der Infektionstätigkeit. In den erwachsenen Altersgruppen sinkt es wieder. Und dieses hohe Plateau, das in England beispielsweise erreicht wurde, das sind eingestreute Infektionen aus den Kinderjahrgängen. Und da muss man eben sagen: Ja, natürlich aus dem Schulbetrieb, wo denn sonst her? Und das RKI liefert auch Daten, und das stimmt, wie Sie das sagen, die sind natürlich durch Testintensität gefärbt, natürlich sieht man durch die Testung in den Schulen mehr Inzidenz, aber das ist auch nur ein Teil der Geschichte. Also man kann das in deutschen Daten auch sehen, was man eben in den ungefärbten englischen Daten sieht, dass wir bei den Jüngeren einfach im Moment den Fokus der Infektionstätigkeit haben. Und man sieht das jetzt auch in den RKI-Zahlen, vielleicht in etwas gröberer Auflösung. Aber wir haben im Moment in der dritten Kalenderwoche geschätzte symptomatische Covid-Erkrankungen ungefähr bei 1,3 bis 2,3 Prozent der Null- bis 15-Jährigen und die Hälfte, also bei 0,6 bis 1,3 Prozent bei den über 50-Jährigen. Das sind eben Daten aus deutschen Surveillance-Systemen. Die sind robust gegen diese Testverzerrungen und gegen die Überlastung des Testsystems. Wir haben diese Daten, die sind schwarz auf weiß verfügbar, die werden aber von der Politik und in den Medien weniger kommuniziert. Und stattdessen gibt es dann Überschriften: Die PCR ist überlastet. Was sagt Lothar Wieler dazu? Das ist absolut unfair. Das sind zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Es wäre gar nicht vernünftig, da jetzt der Inzidenz hinterher zu steigern. Und auch anderen Kriterien. Ich nehme das nur so aus Auszügen aus dem letzten RKI-Wochenbericht vom letzten Donnerstag. Arztbesuche wegen Covid steigen im Moment in allen Altersgruppen, außer eben noch nicht bei den über 60-Jährigen. Das ist genau, was ich vorhin sagte. Man sieht das auch in den bloßen Meldeziffern, aber es lässt sich bestätigen und objektivieren anhand dieser Surveillance-Systeme, die bestehen. Es ist eben noch nicht bei den Alten angekommen, aber es wäre naiv zu glauben, dass es dort nicht ankommen wird. Es wird dort ankommen. Und dann auch mit den Hospitalisierungen, zu sagen, die Situation hat sich geändert, Omikron ist doch ein mildes Virus. Ja, das ist natürlich etwas milder im Vergleich, aber wir sehen im Moment in den Surveillance-Daten des RKI, die Hospitalisierungen steigen bei den unter 35-Jährigen und sie sinken bei den über 35-Jährigen. Und das ist doch wichtig und relevant. Also man kann an dieser Stelle sehen: Das Virus ist bei den Alten noch nicht angekommen. Es wird dort angekommen. Dann werden auch da die Hospitalisierungen wieder steigen. Wir können nur eine Sache im Moment hoffen, dass die Osterzeit, die Ferien und die wärmere Temperatur dann dem Ganzen erst mal fürs Erste einen Riegel vorschiebt. Und dass dann aber hoffentlich in der Sommerpause die Impflücke deutlich geschlossen wird, sodass wir dann in einem anderen Fahrwasser in den nächsten Winter gehen können.
1:15:55 Ich würde gerne zum Abschluss noch mal zurückkommen auf die Einschätzung des Gesamtgeschehens und vor allem auf die Zahlen. Wir haben jetzt diese hohe Zahl bei Kindern gerade genannt. Bei Kindern ist das natürlich besonders sichtbar. Allerdings auch, weil in den Schulen regelmäßig getestet wird. In den mittleren Altersgruppen kann es gut sein, dass vieles gar nicht so richtig entdeckt wird, was da an Infektionen passiert. Die Arbeitsgemeinschaft der Labore hat in der vergangenen Woche eine Auslastung von 95 Prozent angegeben. Und ungefähr ein Drittel der ausgewerteten Tests waren positiv. Und das, wo die Inzidenz so um 50 Prozent pro Woche wächst. PCRTests werden knapp, auch das haben viele jetzt schon öfter gehört. Das RKI hat deshalb angekündigt, die Inzidenz bald nur noch zu schätzen, sage ich es jetzt mal ganz grob vereinfacht. Dafür gibt es allerdings erprobte Instrumentarien, zum Beispiel von der Influenza-Überwachung kennt man das. Wie aussagekräftig sind solche Daten denn tatsächlich?