53:05 In der Studie haben die sich das Risiko für die Mutter angeschaut. Was man sagen kann, ist, dass SARSCoronavirus-2 nicht so ist wie andere Viren, die den Fötus schädigen. Da gibt es zum Beispiel Röteln oder andere Viruserkrankungen – Zika ist auch so ein Beispiel –, die zu schweren Fehlbildungen führen. Da erinnern sich vielleicht viele noch dran, dass dann in Brasilien ganz viele Babys geboren wurden mit einem kleinen Kopf zum Beispiel. Das sehen wir hier gar nicht. Das ist schon mal sehr positiv, muss man sagen. Und um zurückzukommen auf diese CDC-Einordnung: Das waren halt Patienten mit einer starken Evidenz. Dann gibt es noch die Einordnung mittlere Evidenz. Das heißt, es gibt Hinweise, aber man ist sich nicht ganz sicher und erwartet neue Ergebnisse. Das ist zum Beispiel bei Asthma, bei Erkrankungen der Hirngefäße, wenn jemand verkalkte Hirngefäße hat, einen Schlaganfall hatte. Dann Bluthochdruck gehört auch dazu. Dann gibt es auch recht eingeschränkte Evidenz laut CDC nach Knochenmarktransplantationen, bei HIV-Positiven, bei Immundefekten generell oder bei Stoffwechselstörungen, bei chronischen Lungenoder Lebererkrankungen und bei dem Typ-1-Diabetes. Ganz prinzipiell kann man sagen: Was ist die Schwierigkeit, das eigentlich zu beurteilen, ob jemand Risikogruppe ist, dass man das nicht so pauschalisieren darf? Es spielt ja auch immer die Schwere der Grunderkrankung eine Rolle. Wenn wir mal wieder den Bluthochdruck anschauen und unser Beispiel mit dem Patienten, dann ist natürlich ganz relevant: Wie ausgeprägt ist der? Hat der einen Bluthochdruck, den er allein durch Verhaltensänderungen in den Griff bekommt, also ein bisschen Gewichtsreduktion, Umstellung der Ernährung? Oder nimmt der vier Medikamente gegen den Bluthochdruck? Das ist ja nicht das gleiche Risiko. Genauso bei der COPD, also bei der chronischen Bronchitis. Ist die mild ausgeprägt und wurde mal die Diagnose gestellt oder hat der schon Sauerstoff? Ist der Patient sauerstoffpflichtig? Das kann man nicht pauschalisieren. Und auch wenn jemand Krebs als Risikogruppe benennt: Hat der jetzt eine laufende Chemotherapie, der Patient? Oder hatte der vielleicht mal in der Vorgeschichte vor fünf Jahren einen Tumor? Das sind natürlich völlig anderen Voraussetzungen. Und auch bei HIV ist es ein Unterschied, ob Sie einen unbehandelten Fall haben, der sehr fortgeschritten ist oder jemanden, der seit Jahren unter der Therapie perfekt eingestellt ist und keine nachweisliche Viruslast hat. Das kann man nicht so pauschal nehmen, dass jemand dann unbedingt einer Risikogruppe angehört und ein x-faches Risiko hat. Das ist sehr abhängig von der Schwere der Erkrankung. Und auch die Studien dazu, also, die hatte ich mir für heute zum Teil angeguckt. Die sind ganz oft schwierig zu interpretieren, da sie zum Teil nur symptomatische Patienten beschreiben und dann wiederum nur stationäre Fälle haben. Die Kontrollgruppen dazu, die sind oft nicht genau beschrieben oder überhaupt nicht passend. Und oft fehlen auch weitere Informationen zu den Patienten wie das Alter, die ethnische Zugehörigkeit. Da wissen wir auch, dass es Unterschiede gibt. Ob die geraucht haben, ob die zum Beispiel auch noch Drogen einnehmen oder auch das Geschlecht. Deswegen muss man da immer ein wenig abwägen oder vorsichtig sein. Und was ich ganz schön fand, war, was das Wissenschaftliche Institut der AOK gemacht hat, also das WIdO. Die haben mal geschaut nach Vorerkrankungen mit erhöhtem Risiko. Und die Frage war: Gibt es eigentlich eine Übersicht über die Verbreitung von Vorerkrankungen und immunsuppressiver Therapie auf Basis der AOK-Daten? Also, viele Menschen sind ja bei der AOK versichert. Und die haben dann diese Daten genommen und ausgewertet und haben die auf die Bevölkerung Deutschlands hochgerechnet. Das ist ganz interessant. Die haben halt die Abrechnungsdaten von 2018 genommen, ambulante und stationäre Versorgung, und zum Beispiel auch den Arzneimitteltherapie-Einsatz angeschaut, um zu gucken: Wie häufig sind eigentlich bei uns in Deutschland wirklich Risikogruppen? Die sind sehr konservativ vorgegangen. Das heißt, es wurden nur Patienten berücksichtigt mit einer Erkrankung, wenn diese auch medikamentös behandelt wurde. Also dieses Beispiel, wenn jemand ein Bluthochdruck hat, aber gar keine Medikamente kriegt, dann wurde er nicht mit in diesen Risikogruppen erfasst. Und das RKI. Dann haben sie sich auf die Risikogruppen beschränkt, die das RKI angibt. Das sind ja Erkrankungen des Herz- KreislaufSystems, wie wieder diese KHK oder ein Bluthochdruck, Erkrankungen der Lunge, Asthma und COPD, der Diabetes mellitus, Krebserkrankungen und ein geschwächtes Immunsystem aufgrund von einer Erkrankung, zum Beispiel angeborene Immundefekte oder aber die Gabe von Medikamenten wie zum Beispiel Kortison. Also das sind ja gar nicht so wenige. Das sind nicht nur Immunsupprimierte durch eine Organtransplantation, also nach Nieren- oder Lebertransplantationen, sondern zum Beispiel auch alle Menschen mit einer Autoimmunerkrankung, die deswegen zum Beispiel Kortison kriegen. Also, zum Beispiel Rheumapatienten. Und dann, wenn man sich die Ergebnisse anschaut, haben wir 83 Millionen Einwohner in Deutschland. Und die haben gesehen, dass 21,9 Millionen, also 26,4 Prozent, über ein Viertel, mindestens eine der berücksichtigten Vorerkrankungen hatten und somit ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben. Wenn man sich jetzt mal überlegt, was das bedeutet: 21,9 Millionen Menschen sollen geschützt werden vor den restlichen 60 Millionen. Dann merkt man, wie irrsinnig und wie schwierig das ist. Und was die noch gesehen haben, ist, dass das Risiko natürlich mit dem Lebensalter ansteigt, dass aber bereits bei den 20-Jährigen, also ganz jungen Leuten, schon drei Prozent eine Vorerkrankung haben. Das steigt dann kontinuierlich mit dem Alter an. Wenn man bei 80-Jährigen guckt, dann sind es 80 Prozent, die eine Vorerkrankung haben. Und die haben sogar noch weiter geguckt und sehen, dass zwei Drittel, also 66 Prozent von diesen 21,9 Millionen, mindestens eine Vorerkrankung haben, die älter als 60 sind oder 60 Jahre alt sind. Aber ein Drittel, also 7,3, Millionen Menschen, die sind jünger als 60. Das sind nicht die Leute, die alle im Altenheim, im Pflegeheim sind, und dort versorgt werden müssen, dement sind. Das ist einfach nicht der Fall. Wenn man sich diese Zahlen von der AOK, von diesem wissenschaftlichen Institut anguckt, und man spricht davon, wir müssen nur Risikogruppen schützen, muss einem einfach klar sein, dass das erst mal fast 22 Millionen sind. Und da von unter 60 immerhin 7,3 Millionen Menschen sind. Und wie das gehen soll, das stelle ich mir schwierig vor. Und was noch dazu kommt, das fand ich auch ganz schön an dem Bericht, ist, dass das regional so unterschiedlich ist. Also, in Uni-Städten, in Heidelberg, Freiburg, sind das natürlich weniger. Da haben wir ungefähr zwischen 14 und 17 Prozent mit Vorerkrankungen. Aber es gibt Regionen in Deutschland, die habe ich noch nie vorher gehört übrigens, also Mansfeld-Südharz, Suhl und Sonneberg. Die sind angegeben mit 43,5 bis 42,1 Prozent an Risikogruppen. Das heißt, in diesen Regionen hat die Hälfte der Einwohner irgendwie eine Vorerkrankung. Die müssten sie also isolieren oder besonders schützen. Wie soll das gehen? Also, das ist mir einfach völlig unklar.
31:30 Genau, das hat sich auch nicht geändert. Man geht immer noch von 60 bis 70 Prozent aus. Und Herdenimmunität an sich bezeichnet ja eine indirekte Form des Schutzes vor einer ansteckenden Erkrankung, dadurch, dass ein hoher Prozentsatz, nämlich diese 60 bis 70 Prozent, in einer Population bereits immun sind. Das kann durch Infektionen oder eine Impfung geschehen. Eigentlich gehen die Fachleute davon aus, dass wir das bei dieser Erkrankung nur durch eine Impfung erreichen können. Und wenn man mal zurückblickt auch wieder aufs Frühjahr, dann war ja Boris Johnson einer, der für Großbritannien anfänglich dafür war, für eine Durchseuchung. Er hat sich aber dann auch relativ schnell davon abbringen lassen, nachdem er sich von der Wissenschaft hat beraten lassen. Und auch die WHO spricht sich ja ganz klar dagegen aus. Das liegt so ein bisschen auch daran, dass wir einfach viel zu wenig über die Immunität wissen. Und vielleicht kann man in dem Zusammenhang einmal noch erwähnen, dass die Columbia University in den USA am 21. Oktober einen Bericht veröffentlicht hat: Dass die in den USA errechnet haben, dass zwischen 130.000 und 210.000 Todesfälle vermeidbar gewesen wären. Haben das verglichen mit sechs anderen Ländern, die auch ein höheres Einkommen hatten. Unter anderem auch mit Deutschland, Australien, Kanada, Frankreich und, ich glaub, Japan. Und wenn man das jetzt mal mit unserem Land, Deutschland, vergleicht, sind ja im Vergleich die Amerikaner vielleicht etwas mehr übergewichtig, was ein Risikofaktor ist. Aber die Deutschen sind im Schnitt sogar älter als die Amerikaner, sodass man das ganz gut vergleichen kann. Trotzdem sind die Todeszahlen in den USA deutlich höher als in Deutschland. Und die sagen, das liegt an eigentlich drei Punkten, also am Missmanagement der Politik. Das eine ist, dass es keine Strategie für Testungen und Kontaktnachverfolgungen gab. Dass es sehr wenig Testkapazitäten am Anfang gab. Das Virus konnte sich unerkannt in der Bevölkerung verbreiten. Das spricht ja auch wieder gegen diese Herdenimmunität. Also, wir müssen die Kontrolle über die Infektion und deren Verlauf behalten, um die Todesfälle niedrig zu halten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, der ja auch immer wieder kommt in dieser Diskussion. Der zweite Punkt ist, dass es in den USA keine koordinierte Datensammlung und kein Abgleich zwischen den Bundesstaaten gab. Das ist hier in Deutschland auch deutlich besser mit dem RKI und den zuständigen Gesundheitsämtern, aber auch den Ministerien, da gibt es immer enge Abgleiche. Das ist sehr transparent für jeden Bürger nachzuvollziehen. Ein weiterer Kritikpunkt oder Problempunkt in den USA, den die Forscher da gesehen haben, war, dass die Politiker nicht diese nicht-pharmazeutischen Interventionen berücksichtigt haben: Also, Abstand halten, Maske tragen, Hygiene, Lüften. Das wurde da ja einfach ganz lange ignoriert und nicht umgesetzt. Und diese verzögerte Reaktion auf Infektionen, indem man nicht testet, indem man sie ignoriert, indem man keine Maske trägt: Das spekulieren die, dass das dazu führt, dass es zu mehr Todesfällen kam. Sie sagen, wenn man das in großen Metropolen nur ein bis zwei Wochen früher gemacht hätte, dass man wahrscheinlich fast die Hälfte oder ungefähr die Hälfte der Todesfälle hätte vermeiden können. Das zeigt, wie eng diese einzelnen Maßnahmen auch ineinandergreifen und dass man halt nicht einfach sagen kann: Ach, wir können in der Normalbevölkerung mehr Infektionen zulassen und das ist gar nicht schlimm. Also, das ist schlimm, weil man dann die Kontrolle, so wie das in den USA erfolgt war, verliert – über das Infektionsgeschehen.